Gerade bin ich voller neuer Eindrücke von meinem verlängerten Wochenende im schottischen Edinburgh zurückgekommen. Nach mehr als 25 Jahren wurde es für mich höchste Zeit, der wunderbaren „windy City“ und meinem langjährigen Freund Liam einen Besuch abzustatten. In grauer Vorzeit habe ich in Edinburgh ein Jahr lang Deutsch unterrichtet. Danach habe ich beschlossen, lieber Journalistin zu werden – auch wenn Schottland eine tolle Erfahrung war. Aber das ist eine andere Geschichte. 🙂
„We are old, so this mess does not really affect us“, sagte ein besorgt dreinblickendes älteres Ehepaar in gedämpftem Ton zu einem Studenten, als wir in Edinburgh aus dem Flieger stiegen. „But for you this is really bad news!“ Dass ich ausgerechnet mitten in den gerade frisch abgestimmten #Brexit fliegen würde, war wirklich nicht abzusehen, als ich den Trip buchte. Wer von uns hätte so etwas schon für möglich gehalten?!
Brexit: Egal ob „In or out“?
In Edinburgh angekommen war der Brexit auf den Titeln der sogenannten Tabloids und auch in den seriöseren Blättern nicht zu übersehen. Als Michael Gove im Streit um die Cameron-Nachfolge zu allem Überfluss noch den „Leave“ Oberpopulisten Boris Johnson „verriet“, bemühten die Medien von Cäsar („Et tu brute“) über Shakespeares „Macbeth“ bis hin zur Megaserie „Game of Thrones“ (deren Finanzierung durch den #Brexit gefährdet schien) so ziemlich alles. Ob diese miserable Gurkentruppe von verantwortungslosen „posh boys“ eine solche kulturelle Aufwertung verdient hat?
Und was sagt mein Kumpel zum Brexit? Liam findet das Ganze zwar offenbar keine gute Idee und auch ein bisschen peinlich. Er ließ sich aber von mir aber partout nicht aus der Reserve locken. Was den Briten immer hilft, wenn es in der Diskussion eng wird, ist die Flucht in einen mehr oder weniger bitteren Witz: „Well, at least we can now have all the nice jobs which we happily left to the immigrants before.“
Was Liam offenbar auf keinen Fall will, ist ein zweites schottisches Referendum mit der möglichen Folge eines einsamen Sonderwegs zurück in die EU. Das hat mich ein bisschen überrascht, wo doch die Engländer traditionell nicht so sonderlich beliebt sind in „Alba“. Aber Liam hat seine Gründe. „I do not trust the competence of the Scottish National Party (SNP). And England is still the most important trading partner we have.“
Was seine Arbeitssituation betrifft, ist es Liam wahrscheinlich egal, ob „in or out“. „There are no jobs in Scotland“, stellt er trocken fest. Aus diesem Grund verdient er gezwungenermaßen seit Jahren sein Geld als Englischlehrer im Ausland. Und das, obwohl er als gelernter Buchhändler, Webspezialist und Journalist, der einmal für den renommierten und heute vollkommen eingedampften „Scotsman“ gearbeitet hat, gut ausgebildet und erfahren ist.
Always On in Edinburgh? Durchwachsene WLAN-Erfahrung
Vor genau einem Jahr bin ich durch die baltischen Staaten gereist – es war eine tolle Erfahrung! Dort gab es an jeder Ecke freies und bedingungsloses WLAN ohne Datenabzocke – auch irgendwo an der wilden Ostsee in größter Abgeschiedenheit. Da kann Schottland (noch) nicht mithalten. Aber immerhin ist auf der relativ neuen Flughafen-Tram in die City, in den traditionellen Doppeldeckerbussen und auch in den Regional- und Fernzügen freies WLAN im Angebot! Und es funktioniert vor allem auch.
Anderswo überzeugte der Wifi-Service nicht mehr so richtig. Das Hotel wollte nach einer halben Stunde Nutzung drei Pfund für einen Tag abkassieren. Und am Flughafen erwartete man so ziemlich alle Daten von mir, die es gibt. Das Frechste: Ich sollte zwingend den Marketing-Newsletter abonnieren: sonst kein WLAN.
Und die Pubs? Eine wichtige Frage, wo gerade die #EM2016 läuft! Well, in einigen funktionierte das Netz ganz gut, in anderen wiederum überhaupt nicht. Die gute Nachricht dabei: In den Pubs wird noch gemeinsam gefeiert, geredet und gelacht, ohne dass alle dauernd auf ihr Smartphone starren! Naja, außerdem wird nicht jedes Spiel zwingend live übertragen. Deutschland gegen Italien? Da mussten wir am Tresen erstmal Überzeugungsarbeit leisten. 😉
Gemütlich trotz Touristen-Andrang
Edinburgh ist kurz vor dem jährlichen Festival mindestens so voll mit Touristen wie München. Sie kämpfen tapfer mit dem ewigen Mix aus Regen und Sonne. Sie drängen sich über die Haupteinkaufsmeile Princess Street oder durch die extrem geschichtsträchtige Royal Mile in Richtung Castle. Sogar auf den Haushügel „Arthur‘s Seat“ klettern sie in ihren Flipflops.
Trotzdem wirkt die schottische Hauptstadt immer noch sehr gemütlich und lebenswert. In die traditionellen Pubs verirren sich zum Beispiel kaum Touristen. Das Gewirr dort scheint ihnen nicht geheuer zu sein. Die meisten Edinburgher sind trotz der schieren Menge an Gästen rührend freundlich – etwa in den Shops oder Restaurants. Und dauernd sagen alle: Sorry! Obwohl es gar keinen Grund dafür gibt. 🙂
Mehr als den Hut der Queen bekam ich nicht zu sehen
Übrigens ist auch die Queen regelmäßig auf Stippvisite in Edinburgh. Dabei kommt es einem irgendwie vor, als würde die Oma auch mal wieder zu Besuch kommen. Der Zufall wollte es, dass Elizabeth die Zweite gerade das schottische Parlament eröffnet hat, als ich dort war. Eine uralte Tradition! Und vermutlich meine letzte Chance, sie einmal live zu sehen.
Leider habe ich auf meinem Facebook-Live-Video nur ihren riesigen weißen Hut erwischt. Die Queen hat noch nicht mal gewinkt und ist gleich in ihr Auto gestiegen! Rather disappointing! ;( Aber sie ist auch zugegebenermaßen nicht mehr die Jüngste, und es war vermutlich Zeit für den Nachmittagstee.
Ihr wisst: Eine Instagramerin bin ich nicht. Und ich weiß ehrlich gesagt auch nicht, ob ich eine späte Karriere als Food-Fotografin ausgerechnet auf der Insel anfangen sollte. 😉 Das Essen war wie immer eher gewöhnungsbedürftig. Aber: Die Scones mit Cream bei Jenner’s waren lecker. Auch das traditionelle Haggis (sowas wie Himmel & Äd auf schottisch) im wunderschönen Pub Guilford Arms.
Andere Nahrungsmittel lagen mir wiederum ganz schön im Magen, sobald ich sie gegessen hatte. Ein großes Lob möchte ich an das Kushis aussprechen. Die Betreiber des indischen Restaurants sind seit 60 Jahren in Edinburgh ansässig. Der Laden ist sehr beliebt, das Essen ist lecker und bezahlbar. „What are we going to say to them now?“ fragte Liam mich leicht ironisch. „You can go home, we are having our own kitchen from now on?“
Brexit hin oder her. So weit wird es ganz bestimmt nicht kommen. Denn Edinburgh verdankt seinen Charme nicht zuletzt seiner Vielfalt und Internationalität. Ich werde auf jeden Fall wieder hinfahren und kann es auch euch wärmstens empfehlen!