WeitÂer Blick, blauer HimÂmel, weiße Wolken. Am HorÂiÂzont die zehn HalÂliÂgen, Theodor Storms „schwimÂmende Träume“. Der Blick ins WatÂtenÂmeer verÂscheucht AllÂtÂagssorÂgen und weckt das Fernweh.

Der nordÂfriesisÂche Teil des WatÂtenÂmeers ist ein ganz eigenÂer Ort. Es war aber nie abgeschlossen vom Rest der Welt. Schon in frühen ZeitÂen trieb man hier HanÂdel mit anderen VölkÂern und LänÂdern, etwa mit den Wikingern. Mit DäneÂmark verbindet die Region eine lange und nicht immer nur einÂfache Geschichte. In 17. und 18. JahrhunÂdert brachen von NordÂfriesÂland aus viele Kapitäne und SchiffÂsÂmanÂnschaften zum WalÂfang nach SpitzberÂgen auf. Und im 19. JahrhunÂdert schifften sich viele NordÂfriesen auf der Suche nach einem besseren Leben in RichÂtung USA ein.
GerÂade war ich zu Besuch auf der Insel Föhr. Im RahÂmen der BlogÂpaÂrade „Europa und das Meer“, iniÂtiÂiert vom Deutschen HisÂtorischen MuseÂum in Berlin, möchte ich erzählen, was ich dort erfahren und gelÂernt habe über das Wattenmeer.
Wattwanderung in Richtung Sylt
7.30 Uhr in DunÂsum auf Föhr. Am HimÂmel liegen Sonne und Nebel noch im Clinch. Es geht ein kräftiger Wind. ZuminÂdÂest aus meinÂer Sicht als LanÂdratÂte (immerÂhin mit ostÂfriesisÂchen Wurzeln). 😉 DenÂnoch füllt sich der ParkÂplatz hinÂter dem Deich zunehmend. Viel mehr Urlauber*innen als ich dachte haben aufs AussÂchlafen verzichtet. An die 50 PerÂsoÂnÂen wollen mit Heinz-JürÂgen FisÂchÂer eine fast vierÂstündiÂge WanÂderung durchs Watt in RichÂtung Sylt machen. Ziel ist der vier KiloÂmeÂter entÂferÂnte „KorÂmoransand“. Das ist eine schon von weitÂem sichtÂbare SandÂbank. Dort sind häuÂfig SeeÂhunde und Robben zu beobachtÂen, in dieser Jahreszeit auch mit ihren Jungen.
Über 60 Jahre geht er jetÂzt schon ins Watt, betont FisÂchÂer. Wir taufen unseren Guide, der auf die 80 zugeÂhen dürfte, relÂaÂtiv schnell den „SandÂfloh“ – natürÂlich nur heimÂlich. 😉 Er ist klein, komÂpakt, superÂfit und wetÂtergegerbt. Bei seinem einÂführenÂden BriefÂing („mit diesem holÂländisÂchen Deich sind wir heute sichÂer vor SturmÂfluten“) wirft FisÂchÂer einen missÂbilÂliÂgenÂden Blick auf einen Mann mit seinen zwei kleinen Töchtern. Die steÂhen viel zu somÂmerÂlich bekÂleiÂdet bibÂbernd im kalten MorÂgenÂwind, der aus NorÂdost kommt. BesonÂders beeinÂdruckt zeigt sich der Vater von FisÂchÂers ErmahÂnunÂgen nicht. Dann holt er immerÂhin noch zwei BadeÂtüchÂer für seine MädÂchen aus dem SUV.
Fremdlinge im Wattenmeer
Ich frage mich, was FisÂchÂer schon so alles mit den Touris erlebt hat. AußerÂdem bin ich froh, dass ich wenigÂstens ein molÂliges Vlies anhabe. Aber vor allem freue ich mich riesig auf den VorÂmitÂtag ganz weit da draußen. Und das in Begleitung eines Experten, der die Gefahren und TückÂen des Watts in und auswendig kenÂnt. SichÂer ist sicher.
Am Deich lassen fast alle ihre Schuhe zurück und laufen dann barÂfuß ins Watt. Zum Glück fühlt sich das gar nicht kalt an. Im GegenÂteil: Das WassÂer in den Senken und VerÂtiefunÂgen, die trotz Ebbe noch gefüllt sind, ist angenehm warm und der Boden wunÂderÂbar weich. Später gibt es dann eine schöne kräftige FußÂmasÂsage durch die charakÂterÂisÂtisÂchen Wellen im Sand, die die Tide hier im Sechs-StunÂden-RhythÂmus freiÂgibt. (ProÂtipp an dieser Stelle: Vor der WanÂderung den FußrückÂen einÂschmieren, sonÂst ist der SonÂnenÂbrand vorprogrammiert!)

Dass das Watt weltweit einziÂgarÂtig ist, zeigt der 2009 verÂliehene Titel „Unesco WeltÂnaÂturerbe“. Dabei ist es den VeränÂderunÂgen und EinÂflüssen durch die GlobÂalÂisierung genauÂso ausÂgeÂsetÂzt wie andere GegenÂden auf der Welt. Kaum sind wir ein paar Meter ins Watt hineinspaziert, treÂfÂfen wir auf einen besonÂders aufÂfälÂliÂgen ZeuÂgen des welÂtumspanÂnenÂden HanÂdels. Und zwar in Gestalt der kloÂbiÂgen pazÂiÂfisÂchen Auster, die sich gerne zu größeren Klumpen mit mehreren ExemÂplaren zusammenfindet.
Die giganÂtisÂche Austernart ist schon vor einiger Zeit im BalÂlastÂwassÂer der großen Frachtschiffe hier eingeÂwanÂdert und setÂzt dem marÂitiÂmen LebenÂsraum rund um die nordÂfriesisÂchen Inseln Föhr, Amrum und Sylt seiÂther ordentlich zu. Schuld daran ist nicht zuletÂzt der KliÂmawanÂdel, der auch das WatÂtenÂmeer erwärmt hat und so die Fortpflanzung der pazÂiÂfisÂchen Auster begünÂstigt. So viel zur „friesisÂchen Karibik“, die von kreativÂen MarÂketers auf Föhr ersonÂnen wurde. 😉

Nach ungeÂfähr einem KiloÂmeÂter im „watend begeÂhbaren Meer“ treÂfÂfen wir auf den nächÂsten Fremdling: Eine japanisÂche AlgeÂnart, die sich neuerdÂings im WatÂtenÂmeer ausÂbreÂitÂet. Zwar sieht sie sehr hübÂsch und filÂigran aus, bedroÂht das hiesige ÖkosysÂtem laut den Experten aber offenÂbar stark. So wird das Meer zunehmend auch zum SpiegelÂbild des globÂalen wirtschaftlichen Geschehens. Die Natur kann sich von dieser EntwickÂlung natürÂlich nicht abschotÂten. Wie sich lokale ÖkosysÂtem dadurch veränÂdern oder Schaden nehmen, ist heute teilÂweise erst in Ansätzen zu sagen.
Der Untergang von Rungholt
Die Region rund um die Inseln Sylt, Amrum und Föhr hat einiges zu bieten – und beweÂgende GeschichtÂen aus vieÂlen JahrhunÂderten zu erzählen. Dabei dreht sich fast alles um das exisÂtenÂtielle RinÂgen mit stürÂmisÂchen Launen der NordÂsee. Um das harte Leben und die Gefahren, denen die MenÂschen auf den Inseln und an der Meeresküste von jeher ausÂgeÂsetÂzt waren und angesichts des KliÂmawanÂdels heute immer noch sind.
Auch was den HanÂdel und die BeziehunÂgen mit ferÂnen LänÂdern betÂrifft, haben die nordÂfriesisÂchen Inseln eine sehr lange Geschichte, die weit bis in die Wikingerzeit und sogÂar davor zurückÂreÂicht. So hanÂdelÂten die Bewohner*innen der sagenÂhaften Stadt RungÂholt, die 1362 in der ersten „Groten ManÂdränke“ untergÂing, weit über NordÂfriesÂland hinÂaus mit Salz, das sie aus der TorfÂschicht unter dem Watt herÂauskochtÂen. Nicht zuletÂzt diese nicht gerÂade umweltschoÂnende Art des SalzÂabÂbaus soll dazu beigeÂtraÂgen haben, dass die legÂendäre SturmÂflut, auch als MarÂcelÂlusÂflut bekanÂnt, das reiche RungÂholt komÂplett verÂnichtete.
Drei Länder arbeiten Hand in Hand für den Schutz der Robben
AproÂpos Umwelt: Im 17. und 18. JahrhunÂdert dann waren nordÂfriesisÂche Seeleute und Kapitäne im großen Stil am WalÂfang im nordisÂchen EisÂmeer vor SpitzberÂgen beteiligt. Bei allem VerÂständÂnis für die vielfältiÂgen Gründe, die es damals dafür gab: Die KonÂseÂquenÂzen der WalÂfangÂjagd waren furchtÂbar. Am Ende dieser PeriÂode waren die Tiere fast ausgerottet.
Umso erfreulichÂer sind die ErfolÂgsmeldunÂgen, die es heute in punkÂto ArtenÂschutz im WatÂtenÂmeer gibt. So ist die Zahl der vorÂmals stark dezÂimierten KegelÂrobben wieder auf über 6000 gestiegen. Diese ErfolÂgsstoÂry wäre nicht möglich ohne den triÂlatÂeralen Umweltschutz zwisÂchen Dänen, Deutschen und NiederÂlänÂdern, die sich hier ganz im Sinne der europäisÂchen Idee verÂhalÂten. Umso verÂwunÂderÂlichÂer übriÂgens, dass einige die WiederÂaufÂnahme der RobbenÂjagd im WatÂtenÂmeer fordern.

Muscheln auf Tauchstation
DerÂweil macht Heinz-JürÂgen FisÂchÂer seine WanÂderÂgruppe weitÂer draußen nicht nur mit dem WatÂtwurm und seinen sandiÂgen AussÂcheiÂdunÂgen bekanÂnt, sonÂdern bringt uns auch die beeinÂdruckÂende EinÂbudÂdelÂtechÂnik der HerzÂmuscheln näher. Dafür graben wir ein paar ExemÂplare mit den Füßen aus, setÂzen sie wieder ins flache WassÂer und schauen dann fasziniert zu, wie die Muscheln nach und nach zur Seite kipÂpen und sich wieder in den Sand bohren. Nicht nur für Kinder ein echtÂes Highlight!
ÜbriÂgens verÂbirgt sich nicht nur allerÂlei GetiÂer im Watt. Unter den SandÂbänken und im Schlick liegen noch ganz andere Schätze aus ferÂnen LänÂdern verÂsteckt. Etwa eine kostÂbare SammÂlung ägypÂtisÂchÂer ObjekÂte für den Preußenkönig Friedrich WilÂhelm III, die 1822 nach einÂer lanÂgen SchiffÂsÂreise vor der ElbÂmünÂdung im Sturm verÂlorengÂing und nie in Berlin ankam. Darunter ein riesiger Sarkophag auf GranÂit, der eigentlich zu findÂen sein musste. Aber er blieb bis heute verschollen.

Als die Flut allmähÂlich aufläuft, haben wir zwar keinen GoldÂschatz gefunÂden, aber dafür jede Menge neue Dinge gelÂernt – und natürÂlich eine Menge schönÂer Muscheln gesamÂmelt. Die Gruppe kehrt glückÂlich und zufrieden um und wanÂdert mit dem „SandÂfloh“ durchs weite Watt zum Deich zurück. VielleÂicht ist die/der ein oder andere auch ein wenig erleÂichtert, sichÂer und wohlbeÂhalÂten wieder auf der Insel zu sein. 😉
Informationen über Föhr und das Watt
Ein Besuch des kleinen aber feinen FriesenÂmuÂseÂums in Wyk ist unbeÂdÂingt empfehlenswert.
Wie entsteÂht eine SturmÂflut? UnbeÂdÂingte Leseempfehlung: MarÂgriÂet de Moor, SturmÂflut.
Alle InforÂmaÂtioÂnen über den NationÂalÂpark Wattenmeer.
Die inforÂmaÂtive WebÂsite der Insel Föhr.
Einen besseren LabÂskaus als beim „GlückÂlichen Matthias“ gibt es auf Föhr nirgends.
Meike Leopold meint
Liebe TanÂja, danke für dein nettes FeedÂback! Die BlogÂpaÂrade hat ja auch einÂfach ein tolles TheÂma. liebe Grüße, Meike
Tanja Praske meint
Liebe Meike,
was für eine schöne und kenÂntÂnisÂreÂiche WattwanÂderung! Die VerquickÂung HisÂtoÂrie mit AktuÂalÂität gefällt mir richtig gut! Hast mir einiges in ErinÂnerung, anderes neu beigeÂbracht. Dafür danke ich dir herzlichst!
MerÂci fürs MitÂmachen bei der BlogÂpaÂrade #DHMÂMeer! Wir sind restÂlos begeisÂtert, wie viele facettenÂreÂiche Beiträge schon eingeÂganÂgen sind, Nr. 27 zur HalÂbzeit bis du. Mal schaun’, was noch bis zum 25. Juli alles passiert. Schon jetÂzt könÂnen wir sagen — sie ist fanÂtastisÂche diese Blogparade!
HerÂzlich,
Tanja