Update vom 17. Dezember 2021. Operative Hektik bei geistiger Windstille? Gerade räume ich mein Blog auf. Im Backend habe ich entdeckt, dass dieser Beitrag immer wieder angeklickt wird. Sieben Jahre sind seit diesem Post ins Land gegangen — aber was hat sich in der Arbeitswelt eigentlich wirklich geändert? Wie bitte, höre ich euch rufen! Corona, Home Office, New Work, VUCA, Agilität, Gendering etc. Aber mal ganz ehrlich: All die Buzzwords oder Zoom & Co. haben die Arbeitswelt nicht effizienter gemacht, sondern die Schraube des Wahnsinns eher noch ein Stück weiter gedreht — oder nicht?
„Das ist doch operative Hektik bei geistiger Windstille!“ Allein für diesen regelmäßigen Ausruf musste man meinen Ex-Chef liebhaben (oder zumindest respektieren). Er hatte noch mehr Sprüche dieser Art auf Lager. Fragte das Team ihn beispielsweise, wie das Management-Meeting heute gelaufen war, antwortete er fast immer: „Das wollt ihr nicht wissen. Das ist nicht jugendfrei.“ Sehr beliebt war auch der Ausspruch: „Sonst haben wir nichts gekonnt.“ Beispiel: „Das Event muss dieses spezielle Etwas haben — sonst haben wir nichts gekonnt!“
Manchmal kam mein Ex-Chef um halb sechs (spät für seine Verhältnisse!) in mein Büro. Wenn ich noch da war, fragte er: „Hast du kein Zuhause oder was?“ Ja, die gute alte Zeit! Heutzutage werden ja viele eher gefragt, ob sie einen halben Tag Urlaub nehmen, wenn sie um diese Zeit das Büro verlassen (oder den Rechner ausmachen). Tipp: Dieser Spruch hilft (fast) immer: „Ich logg mich später wieder ein.“
Eilig, asap, jetzt oder nie!
Aber ich schweife ab! Zurück zur operativen Hektik bei geistiger Windstille. Ich behaupte: Das ist ein Thema, das alle angeht, die in Unternehmen arbeiten — oder die Unternehmen zuarbeiten. Also uns alle! Auf jeden Fall aber die, die in der Kommunikation arbeiten. Ihr kennt das doch auch: Da werden vermeintlich unverrückbare Termine und Deadlines für Projekte per ordre de mufti verkündet. Eil-Anweisungen (von denen jeder weiß, dass sie überhaupt keinen Sinn machen) werden im Blitzverfahren von oben heruntergereicht und müssen asap (!) erledigt werden. Das ist dann der Moment, in dem viele von uns ihr Hirn aus- und ohne Überlegung in den Umsetzmodus umschalten — koste es was es wolle. Dilbert prangert das immer wieder an — aber auszahlen tut sich sein Mitdenken für ihn nie. 😉
Übrigens fällt mir auf, dass Kopflosigkeit in letzter Zeit geradezu aufs Podest gehoben wird: beinahe täglich stoße ich auf Tweets oder LinkedIn-Einträge, die sinngemäß lauten: Die einen reden viel, die anderen machen es einfach! OK: Prokrastinieren und Zerreden ist das eine — sinnlos und ohne Verstand drauflos arbeiten ist das andere. Ich finde, es gibt durchaus hilfreichere arbeitssparendere Einstellungen, zum Beispiel in diesem indianischen Sprichwort: „Setz dich an einen Fluss und warte: Die Leichen deiner Feinde werden schon bald vorüber treiben.“
Die Website steht! Leider nur mit lore ipsum
Egal. Durch operative Hektik bei geistiger Windstille entstehen im Marketing beispielsweise Websites, bei denen erst in letzter Minute vor dem Go Live auffällt, dass noch Blindtext darin steht. Dann werden händeringend Texter: innen gesucht, die das Ganze bis vorgestern für lau richten sollen, da das Budget bereits von Layout und Technik verschlungen wurde. Wer dann noch so todesmutig ist, nach den richtigen Botschaften an die richtigen Zielgruppen zu fragen, kann sich der geballten Wut des Web-Teams sicher sein.
Es soll auch immer wieder vorkommen, dass Unternehmensblogs eilig zusammengeklickt und live geschaltet werden, für die es weder ein Konzept noch eine/n Verantwortliche/n gibt. Das ist ungefähr so, wie wenn ich ein Baby einfach auf die Füße stelle und sage: Hopp, nun lauf mal los! Unter uns: Ich habe es sogar schon mal erlebt, dass Banner geschaltet wurden, die aus Zeitgründen leider auf keine Website verwiesen. Meine Güte, das passiert halt: Die Kampagne musste schließlich schnell live gehen!
Wer langsam geht, kommt weit
Wo wir schon bei dummen Sprüchen sind. Ich glaube fest daran, dass an diesem was dran ist: Wer langsam geht, kommt weit (nein, der ist nicht von Indianern, sondern angeblich aus Afrika). Aber selbst ich als alte Häsin lasse mich immer noch dann und wann dazu hinreißen, mich trotz eines mulmigen Bauchgefühls in irgendwelche Projekte zu stürzen, ohne deren Sinnhaftigkeit oder Ausgang überhaupt erahnen zu können. Welche Verschwendung von Zeit und Energie! Der Buddhist würde wohl mindestens von fehlender Achtsamkeit sprechen.
Aber wozu gleich den Erleuchteten bemühen! Vielleicht helfen im Wahnsinn des Arbeitsalltags schon ein paar einfache Grundsätze, um operative Hektik bei geistiger Windstille zu meiden (oder zumindest einzudämmen):
- Eile mit Weile: Zeit nehmen, um die Aufgabe genau anzuschauen (und auch zu hinterfragen)
- Dinge sacken lassen: Bei Zweifeln auf jeden Fall einmal drüber schlafen
- Gut planen: Dann einen Projektplan machen (Aufwand, Ressource, realistische Deadlines, Budget, Beteiligte etc.) und vorlegen
- Standhaft bleiben: Für den Plan einstehen — auch wenn die Zeichen schon auf Sturm stehen
- Rufer in der Wüste sein: Den Mut haben, höflich auf Anzeichen von operativer Hektik bei geistiger Windstille hinzuweisen — auch wenn schon alle anderen losgelaufen sind
- Exitstrategien nutzen: Auf Tauchstation gehen, Kurzurlaub nehmen, in den Bummelstreik treten und/oder Dilbert lesen. 🙂
Bei euch in der Arbeit läuft alles viel besser? Bei euch ist es noch schlimmer? Was ist heute anders als 2014? Tut euch keinen Zwang an: Unter dem Blogbeitrag findet ihr die Kommentarfunktion.
uta says
Was für ein herrlicher Satz!
Und der Rest pur aus dem Leben gegriffen. Nur die Klammern in deinem ersten Bullett kannste weglassen — weil es genau darauf ankommt. Und zwar Hinterfragen nicht im Sinne von Anzweifeln sondern im Sinne von Inhalt und Ziel zur allerbesten Umsetzung der Aufgabe! 😉
Meike Leopold says
ok, Uta — da hast du wohl Recht ;))
Su C. S. says
sehr schön — aber sofort an: wer früher stirbt ist länger tot gedacht beim Zwischen(ruf)titel… :). Was das Schlimmste ist: selbst wen du dein eigener Chef bist, kann so etwas passieren… nicht, dass ich das schon erlebt hätte, aber: Wer startet nicht einfach Hals-über-Kopf etwas, blos weil er die Panik bekommt, wenn es nicht jetzt sofort angefangen wird, wird es nicht(s mehr) bzw. nicht mehr fertig.…
Nur werde ich irgendwie das Gefühl nicht los, dass es einen konkreten Anlass für den Blogbeitrag gab? 😉
Insofern: wünsche Dir Gelassenheit, “probier’s mal mit Gelassenheit” — um noch einen Film(titel)text zu benutzen…
Barbara Schieche says
Ein Blogbeitrag, der mir aus der Seele spricht! Ich hätte da auch noch ein paar Lebensweiten in petto: “Dumme rennen, Kluge warten,
Weise gehen durch den Garten.” Oder: “Wenn Du es eilig hast, mach einen Umweg” — Quellen bitte selbst googlen 😉