Die sogenannte “Flüchtlingskrise” ist keine Eintagsfliege, und Deutschland spielt im derzeitigen Geschehen eine zentrale Rolle — auch wenn die Entwicklungen gerade eine ungute Wendung zu nehmen scheinen. Das Engagement der Wirtschaft in dieser Frage rückt ebenfalls zunehmend in den Blickpunkt. Was tun Unternehmen eigentlich für Flüchtlinge? Warum tun sie es und wie (un)eigennützig sind ihre Initiativen?
Fest steht: Jeder, der heute etwas auf sich hält, schreibt sich das Thema Corporate Social Responsibility (CSR) auf die Fahnen. Die Amerikaner haben vorgemacht, wie es geht. Jetzt kümmern sich auch die großen (DAX-notierten) Unternehmen aus Deutschland in großem Stil um den Dienst an der Gemeinschaft.
Das wird einfach erwartet von namhaften Firmen, die in ihren Geschäftsberichten standardmäßig Rechenschaft über die Nachhaltigkeit ihres Tuns ablegen (übrigens tobt gerade eine Diskussion darüber, wie und ob sich CSR europaweit standardisieren lässt). Der nette Nebeneffekt: CSR lässt sich gut in der PR ausschlachten — besonders, wenn es sonst nicht so toll läuft.
CSR: Einfach zahlen und vornehm schweigen?
Auch viele kleinere Firmen tun was sie können, um Flüchtlingen zu helfen. Gleichzeitig versuchen sie, damit ein wenig Marketing für sich selbst zu machen. Das zeigt zum Beispiel diese lobenswerte lokale Initiative des Müncher Glockenbachviertels, die ihre Website tatsächlich bei dem Dienst mit dem unaussprechlichen Namen gelauncht hat. 😉 (Danke an Jenny für diesen Hinweis).
Mal ehrlich: Unternehmen können es niemandem mit ihren CSR-Initiativen recht machen. Selbstlosigkeit wird ihnen einfach nicht unterstellt. Sobald scheinbar selbstlose Aktionen der Marke in offenbarem Widerspruch zu ihrem sonstigen Handeln stehen, geht gar nichts mehr. Schnell steht dann der Vorwurf des “Whitewashings” im Raum. Vermutlich denken die meisten Leute: Zahlt doch einfach und haltet ansonsten den Mund.
Ich persönlich finde es nicht ehrenrührig, wenn ein Unternehmen von seiner Charity profitiert. Wenn es sich dabei clever anstellt. Und das erfordert je nach Situation ein hohes Maß an Authentizität, Professionalität, Mut, Agilität und Entscheidungsfreude. Das Ganze kann ein echter Ritt auf der Messerklinge sein — zumindest, wenn man als Unternehmen auf einen aktuellen “Trend” wie die derzeitige Flüchtlingskrise aufspringen will.
Schnell, authentisch und nützlich sein
Genau in solchen Situationen kann man sehen, wer gutes Marketing macht und es damit wirklich ernst meint. Zum Beispiel das Traditionsunternehmen Hansgrohe SE (ja, die mit den Wasserhähnen), das laut Ralph Taut von der Facebook-Gruppe “Hilfe für Flüchtlinge in München” spontan angeboten hat, seinen Showertruck (ich wusste gar nicht, dass es so etwas gibt!) in München für einige Zeit für die Flüchtlinge bereit zu stellen. Heute soll der Truck in Dornach ankommen und von der Johanniter-Flüchtlingshilfe in Betrieb genommen werden. Wie toll (und wirklich nützlich) ist das denn?!
Warum hat sich der absolute Realtime-Marketing-Experte Sixt zu diesem Thema eigentlich noch nicht zu Wort gemeldet? Die Frage im Thinktank der Münchner lautete wohl: In einem BMW Sport Coupe für zwei Leute auf Spritztour mit mindestens 100 Mitfahrern aus Syrien über die grüne Grenze zwischen Österreich und Deutschland — wie soll das logistisch gehen? Spaß beiseite: Auch Schweigen im richtigen Moment kann eine Kompetenz sein.
Andere sind da nicht ganz so zurückhaltend. Opel versucht es zum Beispiel mit lehrreichen Inhalten fürs (autofahrende) Volk. Dafür gab es nicht nur Applaus (im Social Web). Einige hielten die Aktion im Rahmen der Kampagne “Umparken im Kopf” schlicht für gewollt und nicht gekonnt. Zumindest das “wären” hätten sie ja richtig schreiben können. Aber bildet euch selbst ein Urteil.
Wie gesagt: Wenn Kreativität UND Sinnhaftigkeit gefragt sind, kommen manche Werber schnell an ihre Grenzen. Das gilt nicht für Fisherman’s Friend, die schnell einen frechen Spruch Richtung Heidenau auf den Lippen hatten, der ziemlich gut ankam. Hat jemand von euch eigentlich diese Sonderedition der Frischmacher ergattern können?
Hey #Heidenau, exklusiv für euch: unsere neueste Sorte. Solltet ihr auch mal probieren! #mundaufmachen pic.twitter.com/yyzOuPORSH
— Fisherman’s Friend (@Fishermans_de) 27. August 2015
Heidenau?! Genau, das waren diese netten Landsleute, die uns im vergangenen Monat auf Trab gehalten haben mit ihren miesen Aktionen gegen Flüchtlinge, Unterkünfte für Flüchtlinge und die Polizei.
Vision für Flüchtlinge, aber fragwürdige Kooperation
Ganz frisch ist diese Meldung von SAP, das eine App für die Flüchtlingsregistrierung bauen will. Finde ich eine super Idee, aber gibt es für solche Projekte nicht Berufenere? 😉 Mir gefällt auch diese Aktion von Google. Eine große Marke nutzt ihren großen Namen, um viel Geld für einen guten Zweck zu sammeln — und es funktioniert.
Aber nicht immer. Es ist zum Beispiel sehr lobenswert, wenn ein führendes Unternehmen wie Daimler ganz große Visionen beim Thema Migration hat. Aber wenn es sich dann leider für eine Kooperation entscheidet, die zwar Reichweite, Sichtbarkeit und viele Spenden verspricht aber von einem geistigen Brandstifter ins Leben gerufen wurde, muss ich sagen: Knapp daneben ist auch vorbei.
Mein Lieblingsfußballverein SC Freiburg hat heftig überlegt, ob er sich vor diesen Karren spannen lässt und sich dagegen entschieden. Well done, lieber Christian Streich! 🙂
CSR und PR für Flüchtlinge — welche Beispiele fallen euch ein, bei denen Nutzen UND Marketing eine glaubwürdige Kombi ergeben haben — oder eben auch nicht? Ich freue mich über eure Kommentare dazu!