Ich habe mir angewöhnt, kurz vor dem Schlafengehen festzuhalten, was für mich an diesem Tag besonders schön war. Gestern war das eindeutig ein Spaziergang durch Neubiberg mit drei Flüchtlingen aus Nigeria.
Aber von Anfang an. Ihr habt alle gesehen, was in den vergangenen Wochen in München los war. Das wird sich angesichts der derzeitigen dramatischen Lage auf den Flüchtlingsrouten über den Balkan vermutlich nicht so schnell ändern.
Wenn die Flüchtlinge in München ankommen, werden sie in sogenannte Erstaufnahmelager gebracht, wo sie registriert und gesundheitlich untersucht werden und ihren Asylantrag stellen können. In München ist das beispielsweise die Bayernkaserne. Dann werden die Menschen nach einem bestimmten Verteilschlüssel in andere Unterkünfte in ganz Bayern verteilt. Das gilt auch für den Landkreis München, wo ich wohne.
Bei uns in Neubiberg wurde vor kurzem eine Traglufthalle für 300 Menschen errichtet, da diese sich in der Gemeinde zunächst nicht anderweitig unterbringen lassen. Dazu muss man sagen, dass ein Aufruf an die Bürger, freien Wohnraum bereitzustellen, schon vor einem Jahr leider weitgehend unbeantwortet blieb. Schade, bei einer so wohlhabenden Gemeinde! Vielleicht konnten sich viele damals noch nicht vorstellen, wie akut die Situation einmal werden würde?
Geplant ist, dass jeder Flüchtling nur ein paar Wochen in der zeltartigen Unterkunft bleiben muss und dann in eine normale Wohnung umverteilt wird – wenn dort ein Platz frei wird (Quelle: BR)
Ehrlich gesagt kann ich mir kaum vorstellen, dass das in Neubiberg so schnell gehen wird. Wie heißt es so schön: Nichts ist zählebiger als ein Provisorium…
Asylhelferkreis Neubiberg packt an!
Jedenfalls sind bei uns vorgestern die ersten Flüchtlinge in der Traglufthalle eingetroffen, die auf einem Teil der alten Landebahn des einstigen Fliegerhorstes Neubiberg steht. Viele Neubiberger hatten wohl gehofft, dass es (syrische) Familien werden, aber zunächst sind es um die 100 junge Männer aus Ländern wie Somalia, Eritrea und Nigeria.
Und was passiert jetzt? Jetzt packt der Asylhelferkreis Neubiberg an! Den Kreis gibt es schon seit vielen Jahren. Zuletzt hatten die Mitglieder einige Flüchtlingsfamilien betreut, die inzwischen alle eine feste Bleibe in Bayern gefunden haben. Unter der Leitung seines wirklich tollen und superaktiven Chefs Norbert Büker hat sich der Helferkreis aufgeteilt in Gruppen wie “Leben”, “Lernen” oder “Freizeit”, um die neuen Gäste so schnell wie möglich in allen Lebenslagen unterstützen zu können.
Eines der ersten Angebote der Gruppe “Leben” ist eine “Sightseeing Tour” durch Neubiberg, damit die Flüchtlinge von Anfang an wissen, wo sie in der Gemeinde was finden. Wichtige Fragen sind zum Beispiel: Wo bekommen sie ihr “Taschengeld”, wo gibt es Ärzte, wo gibt es in Neubiberg günstige Lebensmittel oder Klamotten, wie kommen sie mit dem ÖPNV nach München etc.
Gestern bin ich gemeinsam mit einem Kollegen aus dem Helferkreis zur Traglufthalle gelaufen, um eine erste Gruppe zum Rundgang einzuladen. Ehrlich gesagt habe ich mich schon ein bisschen komisch, fremd und unsicher gefühlt, als wir dann durch die Schleuse waren und in der Unterkunft standen. Wie soll ich mich eigentlich verhalten? Was soll ich sagen? Aber eine gestandene Sozialarbeiterin von der Inneren Mission München hat uns schnell und energisch geholfen, drei junge Nigerianer zu finden, die sich uns nach einem etwas längeren und nicht ganz durchschaubaren Entscheidungsfindungsprozess anschlossen. 😉
Teilweise liegen die Nerven blank
Nota bene: Dass das Zusammenleben in der Halle nicht ganz einfach ist, haben wir gleich hautnah miterlebt. Als wir dort waren, gab es ein lautstarkes Gerangel zwischen Wachpersonal und einigen Flüchtlingen. Offenbar, weil einer von ihnen versucht hatte, Alkohol in die Halle zu schmuggeln, was verboten ist. Am Ankunftsabend gab es Ärger, weil einige Männer aus Somalia und Eritrea partout nicht zusammen in einem Raum schlafen wollten. Die Nerven scheinen teilweise blank zu liegen.
[Tweet “Mit anpacken, damit das Thema #Flüchtlinge ein Gesicht bekommt! #bloggerfuerfluechtlinge”]
Auf dem Spaziergang durch das samstäglich verschlafene Neubiberg haben wir Fünf uns dann so allmählich aneinander angenähert. Zum Glück konnten wir uns ganz gut auf Englisch unterhalten. Ein wichtiges Thema für alle ist: Schnell einen Job finden und Geld verdienen. Nach anderthalb Stunden schien das Eis gebrochen. Wir haben uns alle gegenseitig mit Namen vorgestellt, Hände geschüttelt und auch herzlich zusammen gelacht.
Natürlich sind uns unterwegs viele Leute begegnet. Einige haben demonstrativ weggeschaut, aber viele haben auch gegrüßt und das “Guten Tag” von Henri aus Nigeria freundlich erwidert. Mein Kollege vom Asylhelferkreis hat natürlich gleich das “Grüß Gott” aufs Tapet gebracht, das in Bayern vor allem bei älteren Leuten mehr Wirkung zeige. Meinetwegen. 🙂 Wir haben auch über andere Städte in Deutschland geredet, beispielsweise Hamburg, wo Henri unbedingt hinmöchte. Als Nordlicht konnte ich ihm natürlich nur zuraten. 😉
Mein Fazit: Die “Sightseeing Tour” hat den jungen Männern hoffentlich ein bisschen bei der Orientierung in Neubiberg geholfen. MIR hat sie auf jeden Fall geholfen! Für mich war das ein schönes Erlebnis. Denn ich finde es einfach sehr wichtig, dass das große Thema “Flüchtlinge” für mich ganz konkret ein Gesicht, einen Namen bekommt. So wird es viel einfacher und selbstverständlicher, damit umzugehen und einfach mit anzupacken, wo es nötig ist.
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