Vorbemerkung: Diesen Beitrag habe ich geschrieben, als ich von der Blogparade #digiform bei den Kollegen von Zielbar noch gar nichts wusste. Aber mein Thema passt natürlich ganz wunderbar zu dieser Blogparade. Ergänzend möchte ich dazu gerne noch vorwegschicken: Die Reformation war natürlich auch und vor allem eine Bewegung des Wortes — ob via Bibel, Predigt, Flugschrift oder Kirchenlied. Es handelte sich um eine Sprache, die von jederman und jederfrau verstanden werden konnte. Will sagen: Die Reformatoren versteckten sich nicht mehr hinter dem Latein, der Sprache der wenigen Hochgebildeten in der damaligen Zeit. Schließlich wollten sie, dass ihre Message bei der breiten Bevölkerung ankam.
Bei der „digitalen Reformation” bewegt mich trotz all ihrer großartigen Errungenschaften momentan die Frage: Welche Auswirkungen wird es haben, dass wir es dabei letztlich auch mit einem VERSCHWINDEN DES WORTES zu tun haben? Denn im Zuge des enormen Content Hypes, den wir erleben, ist der Trend zum „Snackable Content“ in Form von Hashtags, Bildern und Videos quasi unübersehbar. Immer und immer wieder wird postuliert: Aufgrund der herrschenden „Informationsflut” werde nun einmal immer weniger gelesen.
Das bekommen nicht nur die Unternehmen, sondern vor allem auch die Medien und der Literaturbetrieb deutlich zu spüren. Dass das geschriebene Wort zunehmend nur noch ein „Hobby” einiger Weniger ist, macht mir große Sorgen. Denn Bildung durch Lesen (und natürlich auch Schreiben) ist letztlich das Fundament für Austausch und Dialog und damit unserer Demokratie.
Am 31. Oktober 2017 haben wir alle frei! Das verdanken wir dem 500. Jubiläum der Reformation. Am 31. Oktober 1517, am Vorabend von Allerheiligen, soll Dr. Martin Luther seine 95 Thesen an die Tür der Wittenberger Schlosskirche genagelt haben. Die war damals so etwas wie das schwarze Brett der Wittenberger Universität, an der Luther lehrte. Mit seinen Thesen wollte er das aus seiner Sicht (und der etlicher weiterer einflussreicher Zeitgenossen) unchristliche Treiben der katholischen Kirche und ihrer Päpste anprangern. Wie die Sache ausging, wissen wir.
Mal ehrlich: So ein bedeutendes Jubiläum bekommt nicht jede/r zu Lebzeiten mit. Für mich ein guter Grund, in diesem Jahr auf grinsende Kürbisse, klappernde Skelette und ähnlichen (abergläubischen! ;)) Blödsinn zu verzichten, der in diesen Tagen unsere Timelines zumüllt. Viel spannender finde ich nämlich die Frage, was wir heute noch in punkto Kommunikation von Martin Luther und seiner Community lernen können. Meine Gedanken dazu habe ich — wie sollte es auch anders sein — in drei Thesen zusammengefasst.
1. WER soll WAS wissen: Klare Botschaften in klarer Sprache kommen an
Eines ist sicher: Luther hatte eine Mission. Und er wollte seine Message unbedingt unter die Leute bringen: Luther ging es um nichts weniger als eine Rückbesinnung auf die biblischen Grundlagen des Evangeliums. Mit der Praxis, den Menschen gegen Geld „Ablass“ von ihren Sünden zu gewähren sollte Schluss sein. Seine Botschaft platzierte Luther maximal öffentlichkeitswirksam mit den 95 Thesen. In der Folge brachte er sie immer und immer wieder rüber – trotz aller Scherereien, die er dadurch bekam.
Bei alldem profitierte der einstige Mönch davon, dass er ein talentierter Prediger, ein Meister des Wortes war. Und davon, dass er dem „Volk aufs Maul“ schaute. Mehr als die Hälfte seiner über 2000 erhaltenen Predigten hielt der Theologieprofessor Luther in der Wittenberger Stadtkirche. Hier feierte der erste Gottesdienst in deutscher Sprache (statt auf Latein) Premiere und hier wurden von Luther komponierte Kirchenlieder in deutscher Sprache gesungen.
Das war eine Revolution! Jetzt konnten auch einfache, ungebildete Menschen verstehen, was in der Predigt gesagt wurde und sich ein eigenes Bild von den Inhalten der Bibel machen (das Neue Testament übersetzte Luther ab 1521 auf der Wartburg, als er für 10 Monate untertauchen musste). Dieses Rad ließ sich nie wieder zurückdrehen. Übrigens: Luther wusste genau, dass in der Kürze die Würze liegt: „Ihr könnt predigen, über was ihr wollt, aber predigt niemals über vierzig Minuten.“ Ohne Zweifel wäre dem Mann in heutiger Zeit auch ein 1:30 Minuten Clip auf Youtube gelungen.
2. Networking ist alles: Ein interdisziplinäres Team setzt große Ideen durch
Luther wurde besonders in diesem Jahr rauf und runter zitiert. Doch allein hätte er nur wenig ausrichten können gegen die Macht der herrschenden Kirche. Er brauchte Unterstützer mit verschiedenen Talenten und Kenntnissen, um seinen Gedanken und Ideen Gehör zu verschaffen.
Ein wichtiger Freund Luthers war Philipp Melanchton. Der Gelehrte war um einiges jünger als Luther, sehr klein und außerdem stotterte er. Deshalb stand der Alphamann Luther viel mehr im Rampenlicht als er. Doch Melanchtons Wissen, Wirken und Publizieren sowie sein Einfluss in der gelehrten theologischen Welt haben die Reformation entscheidend mit vorangebracht.
Auch Lucas Cranach der Ältere spielte für Luther eine Schlüsselrolle. Er wusste er um die Macht der Bilder. Er hat seinen Freund Luther und auch dessen Frau Katharina Bora viele Male abgebildet. Außerdem verstand Cranach als eine Art Vorläufer von Andy Warhol die Vorteile der seriellen Produktion von Bildern sehr früh. Die Luther-Porträts verbreiteten sich deshalb schnell in ganz Europa und somit auch seine Lehren. Mit seiner überaus produktiven Werkstatt in Wittenberg aber auch mit erfolgreichen Investitionen aller Art wurde Cranach sehr reich. Mit Storytelling auf Instagram und Co. hätte Cranach bestimmt seine wahre Freude gehabt. 😉
3. Medienexpertise: Überzeugender Content plus Reichweite ist king
Apropos Vervielfältigung: Luther wusste nicht nur, was wirksame Inhalte sind und wie man sie erstellt. Er profitierte auch wesentlich vom technischen Fortschritt. Seine Schriften und Predigten, allen voran die 95 Thesen, ließen sich rasend schnell verbreiten – und zwar dank des 1450 von Guttenberg erfundenen Buchdrucks. Eine wahre Medienschlacht um das wahre Christentum begann.
Luther und sein Team haben die neue Technik sehr bewusst und gezielt für die Öffentlichkeitsarbeit genutzt. Sobald der Reformator eine Predigt gehalten hatte, ging diese als Flugschrift in Druck und wurde verteilt – wohlgemerkt in deutscher Sprache. „Luther hätte ein gut gefülltes Blog gehabt“, sagt Pfarrer Lutz Neumeier. Damit hat er sicher recht.
Fazit: 500 Jahre sind seit dem Beginn der Reformation vergangen. Dass dieses Ereignis so große geschichtliche und kulturelle Auswirkungen hatte, war nicht zuletzt ein Ergebnis von professioneller Kommunikation. Sogar frühe Vordenker der Internetgemeinde huldigten Luther, als sie 1999 in Anlehnung an seine 95 Thesen das Cluetrain Manifest für ein offenes Internet und die Notwendigkeit einer transparenten Kommunikation veröffentlichten.
Luther und die Reformation – interessante Links
9,5 Thesen zu Luther und Social Media. Mit einer klasse Präsentation von Pfarrer Lutz Neumeier.
Die Welt fasst zusammen, was das Luther-Jahr 2017 gebracht hat – und was nicht.
Luthers Erbe ist beileibe nicht unumstritten. Das zeigt die anhaltende Diskussion um ein Relief an der Stadtkirche Wittenberg.
Margot Käßmann und die Reformation, von der SZ beleuchtet.
Titelbild: By workshop of Lucas Cranach the Elder — 1. Web Gallery of Art: Image Info about artwork2. clarus-cranach.de, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=23089835
Animation: Martinstage 2017 (http://martinstage.de/)
[…] waren das wunderbare Reisen nach Volterra, nach Rovinji aber auch nach Kassel auf die Documenta oder nach Wittenberg anlässlich des 500. Jubiläums der Reformation. Viele spannende Begegnungen, die Zusammenarbeit mit interessanten, beeindruckenden und […]