Bei Uwe Schneidewind ist der Name Programm. Der Großsegler-Kapitän sieht exakt so aus, wie ich mir einen gestandenen Schiffsführer vorstelle: Stattlich, hanseatisch, respekteinflößend, reserviert und doch sympathisch. Schneidewind ist 20 Jahre auf Segelschiffen über die Weltmeere gefahren, unter anderem als Offizier auf der Gorch Fock. Er hat über seine Erfahrungen als Seemann ein Buch geschrieben, das er vorgestern im Presseclub München vorstellte. Da musste ich natürlich hin, denn mein Vater ist schließlich auch Marine-Käptn a.D. 🙂
Der Talk zwischen Schneidewind und Moderator Perry Reisewitz drehte sich (mal mehr und mal weniger) um das Thema “Kommunikation auf Schiffen”, die in Notfällen natürlich häufig gleichzeitig Krisenkommunikation ist. Als Ankerpunkte dienten der Untergang der Pamir, auf der Schneidewind ein Jahr von dem Unglück noch als Schiffsjunge gearbeitet hatte, die allseits bekannte Katastrophe der Costa Concordia im vergangenen Jahr sowie ein sehr heikle Situation, die Kapitän Schneidewind beim Einlaufen mit seinem Segelschiff in die Emsmündung “bei frischen 7” zu bewältigen hatte.
Fehlende Kommunikation trägt zur Verstärkung von Unglücken bei
Bei Vorfällen wie dem Untergang der Pamir kommen häufig mehrere Faktoren zusammen, die die Tragödie auslösen und ihre Dimension verstärken. Das wurde bei den Schilderungen von Schneidewind schnell klar. Der Hurrican, in den die Pamir geriet, war schon seit Tagen beobachtet worden und weltweit sozusagen auf dem Radar der Meteorologen. Dennoch hatte die Besatzung, der es an Erfahrung und Kompetenz mangelte, offenbar keine Ahnung von der Gefahr, in der sie sich befand.
Die fehlende Kommunikation tat ein Übriges. So hielt es die Reederei noch einen Tag vor dem Unglück nicht für nötig, das Schiff noch einmal über die drohende Gefahr zu informieren bzw. sicherzustellen, dass sie davon wusste. Ansonsten wurden aber jede Menge alltägliche Nachrichten ausgetauscht. Auch das Informationsmanagement an Bord setzte offenbar zum Zeitpunkt der Katastrophe völlig aus — niemand an Bord wusste, was er (noch) zu tun hat. Kapitän Schneidewind deutete an, die letzte Fahrt der Pamir hätte der Reederei das meiste Geld eingebracht. Aus seiner Sicht wurde die Besatzung von den Verantwortlichen an Land im Stich gelassen. Den Rest kann man sich dazu denken.
Die Ratte verlässt das sinkende Schiff
Deutlicher wurde die Analogie zwischen Kapitänen und Wirtschaftslenkern, als es um den Fall des unglückseligen Kapitäns Schettino ging. Jedes Kind kennt den Spruch: Der Kapitän geht als letzter von Bord. Für Schettino galt wohl eher das Motto: Der Kapitän fällt als erster ins Rettungsboot. Schettino, der aus einer alten Reeder-Familie stammt, verstieß gleich gegen mehrere goldene Regeln, die ein Kapitän aus Sicht von Schneidewind beherzigen sollte:
1. Keep your crew informed!
Das Kommunikationschaos unter der Crew und den Passagieren muss auf der Costa Concordia perfekt gewesen sein. Nach Augenzeugenberichten wusste einschließlich der Kommandobrücke bis zuletzt kaum einer an Bord, was überhaupt los war. Den Passagieren soll sogar geraten worden sein, in ihre Kabinen zurückzukehren, als das Schiff schon gefährliche Schlagseite hatte. Die Passagiere selbst riefen via Handy an Land an, um (sich) über ihre Lage zu informieren.
2. Entscheiden, delegieren und jederzeit den Überblick über die Gesamtlage bewahren
Schettino wollte nicht nur gefährlich dicht an Giglio vorüberfahren, er übernahm auch gleich selbst den Joystick (!), um das 300 Meter lange Schiff an der Insel entlang zu navigieren. Bei der Bedienung dieser hochempfindlichen Technik dürfte er sich gefährlich verschätzt und den (angeblich nicht in der Karte verzeichneten Felsen) gerammt haben. So verlor er den Überblick über die Situation.
3. Der Kapitän trägt die Verantwortung für die Passagiere und das Schiff
“Ein Kapitän trägt immer die Verantwortung und damit die Schuld, wenn an Bord etwas passiert”, betonte Schneidewind. Schettino dagegen war als einer der ersten an Land, während die Passagiere noch stundenlang damit beschäftigt waren, von Bord zu kommen. Dieses Verhalten hatte allerdings nichts mehr mit Kommunikation zu tun — hier hatte einfach eine Ratte das sinkende Schiff verlassen.
Dazu fällt euch allen sicher das ein oder andere Beispiel aus der Wirtschaft ein. Wenn es nicht klappt mit dem Führen, gehen Manager schon mal rechtzeitig und bei Nacht und Nebel von Bord — mit Abfindung versteht sich.
Der Krisenfall muss vorbereitet und geübt werden
Schneidewind erklärte, dass jedes Mitglied in der Crew eine ganz bestimmte Aufgabe zu übernehmen hat, wenn an Bord ein Unglück droht. Das wird im Idealfall regelmäßig geübt. Auf großen Kreuzfahrtschiffen geht es dabei z.B. darum, die Passagiere in einem bestimmten Bereich zu sammeln, sie zu den richtigen Rettungsbooten zu bringen etc. Hier sehe ich die Analogie zur Unternehmenskommunikation deutlich. Einen solchen Krisenplan sollte jedes Unternehmen in der Schublade haben, um einigermaßen heil beziehungsweise glaubwürdig durch eine Kommunikationskrise oder einen “Shitstorm” zu kommen. Dieser Plan muss “oben” aufgesetzt werden und im Notfall von der “Crew”, die diesen Plan natürlich in allen Details kennt, umgesetzt werden — in enger Absprache mit der “Kommandobrücke”. Leider ist oft das Gegenteil der Fall: Das Management duckt sich weg, die PR-Abteilung rudert ratlos mit den Armen und unter Mitarbeitern wie Stakeholdern brodelt die Gerüchteküche.
Bei Kapitän Schneidewind hätte es das nicht gegeben. Vor der Emsmündung lief er mit seinem Segelschiff, das einen Maschinenschaden hatte, einmal beinahe auf eine Sandbank. Der Grund: Der Schlepper, der ihn in die Ems lotsen sollte, war wegen des schlechten Wetters nicht gekommen. Schneidewind wirft sich vor, dass er sich nicht mit dem Kapitän des Schleppers darüber abgestimmt hatte, sondern nur mit der Reederei. Aber als es dann kurz von dem Auflaufen sehr eng wurde und es kein Zurück mehr gab, hat Schneidewind alles auf eine Karte gesetzt: Er hat das Schiff mit einem generalsstabsmäßigen Manöver vor zwei Anker gesetzt und damit gerettet. Bei diesem Manöver musste jeder mit anpacken, der an Bord zwei Beine hatte — auch der Koch. Schneidewind: “Das funktioniert so: sorgfältige Vorbereitung, kurze perfekte Umsetzung und lange Nachbereitung”.
Tja, die griechische Weisheit stimmt schon: “Ein guter Kapitän wird man nicht in ruhigen Gewässern”. 🙂
Thomas F. meint
Schneidewind ist natürlich nicht “50 Jahre auf Segelschiffen über die Weltmeere gefahren”. Wie sich seinem (sehr lesenswerten) Buch entnehmen läßt, waren es etwa 20 Jahre.
Daß Schettino die Costa Concordia zur Unfallzeit selbst gesteuert haben soll, ist mir neu. Ich habe eine detaillierte Reportage darüber gesehen, welche die Stimmrecorderaufzeichnungen berücksichtigt hatte.
Daraus ging u.a. hervor, daß der philippinische Rudergänger aufgrund von Sprachproblemen zweimal(!) den Kurs in die falsche Richtung geändert hatte und das Schiff deshalb zu nahe an den Felsen geraten war. Schettino war unaufmerksam und hatte das viel zu spät bemerkt.
Meike Leopold meint
Hallo, danke für den Hinweis zu der Jahreszahl. Zu dem anderen Thema müssten wir dann mal mit Herrn Schneidewind sprechen. 🙂 Herzliche Grüße