Was ist wahr? Wer hat denn nun Recht? Das fraÂgen sich viele MenÂschen, die sich beispielÂsweise mit poliÂtisÂchen Aufregern wie #DieselÂgate oder #Glyphosat befassen. Müssen Diesel-Autos wirkÂlich runter von der Straße? Gefährdet Glyphosat wirkÂlich meinÂer GesundÂheit? Wer im verÂganÂgenen Jahr verÂsuchte, sich dazu eine fundierte MeiÂnÂung zu bilden, tappte oft im Nebel – trotz der Menge an InforÂmaÂtioÂnen rund um diese Themen.
Dazu traÂgen nicht nur die MediÂen mit ihren unterÂschiedlichen EinÂschätzunÂgen bei, sonÂdern auch hitzige, polarÂisierende und unüberÂsichtliche DebatÂten inkluÂsive „Fake News“ im Netz. Zudem verÂsuchen natürÂlich auch die KomÂmuÂnikaÂtoren in den Unternehmen, die DeuÂtungÂshoheit zu wahren, wenn eigene ProÂdukÂte oder HandÂlunÂgen in der öffentlichen KriÂtik stehen.
Soll ein Weltkonzern Kritik mit gleicher Münze heimzahlen?
So trat beispielÂsweise der DAX-KonzÂern BayÂer in Sachen Glyphosat kurz vor WeiÂhÂnachtÂen die Flucht nach vorne an. NachÂdem der WWF DeutschÂland dazu ein kriÂtisÂches und hip daherkÂomÂmendes Video für junge Zuschauer veröfÂfentlichen hatÂte, antwortete BayÂer, das mitÂten in der ÃœberÂnahme von MonÂsanÂto steckt, mit einem ähnÂlichen aufgeÂbautÂen Clip. Dabei ging es augenÂscheinÂlich darum, das Video des WWF zu persiflieren.
Ãœber die Machart der beiÂden Filme lässt sich treÂfÂflich streÂitÂen. Mich perÂsönÂlich interÂessiert eine andere Frage viel mehr: Darf ein WeltkonzÂern wie BayÂer genauÂso so aus dem Wald herÂausÂrufen, wie ein KriÂtikÂer, in diesem Fall der WWF, hineingerufen hat? Ja, meint die große Mehrheit der W&V‑Leser. In meinen Augen ist es zwar grundÂsätÂzlich sehr zu begrüßen, wenn sich ein SchwÂergewicht wie BayÂer an der öffentlichen DiskusÂsion beteiligt. Doch die „Video-Schlacht“ mit dem WWF wirkÂte aus komÂmuÂnikaÂtivÂer Sicht wenig angemessen und auch nicht besonÂders hilfreich.
Warum die Retourkutsche von Bayer meines Erachtens nicht funktioniert
- KomÂmuÂnikaÂtionÂshoheit und SouÂveränität sehen anders aus. Wenn BayÂer der Ansicht ist, dass es sich bei MeiÂnÂungsäußerunÂgen wie dem des WWF um „ProbÂleme postÂfakÂtisÂchÂer MeiÂnÂungsÂbilÂdung“ hanÂdelt, sollte es „derÂarÂtige ProÂvokaÂtioÂnen“ aus meinÂer Sicht tatÂsächÂlich lieber ignoriÂeren. Das würde souÂveränÂer wirken, als selbÂst mit einem Video anzutreten, das möglicherÂweise aus internÂer „AngeÂfassÂtheit“ entÂstanden ist. OhneÂhin lässt sich die öffentliche MeiÂnÂung auf diesem Weg verÂmutÂlich nicht zugunÂsten des Unternehmens drehen.
- Eine DiskusÂsion auf AugenÂhöhe fehlt. Die gesellschaftliche DebatÂte zum TheÂma Glyphosat bleibt lebÂhaft. UmfraÂgen zeigen immer wieder, dass eine Mehrheit in DeutschÂland dem TheÂma kriÂtisch gegenüberÂsteÂht. Wenn die MeiÂnÂung dieser MenÂschen aus Sicht von BayÂer auf falschen FakÂten oder UnwisÂsen basiert, sollte das Unternehmen viel mehr tun als coole Clips zu drehen, die Applaus aus der WerÂbergeÂmeinde ernÂten. RatÂsam ist nach meinÂer Ansicht eine ÖffÂnung für einen langfristiÂgen, ernÂstÂgeÂmeinÂten DiaÂlog auf AugenÂhöhe mit allen kriÂtisÂchen Stakeholdern.
- Die Aktion hat der WahrheitsÂfindÂung nicht gediÂent. „SonÂst weiß man bei den ganzen StuÂdiÂen gar nicht mehr, wem man noch verÂtrauen kann“, heißt es am Schluss des BayÂer-Clips. Den Beweis, dass die eigeÂnen ArguÂmente „wahrer“ sind als die des WWF, kann das Antwort-Video aber letÂztlich nicht erbrinÂgen. Zum Beispiel heißt es darin: Ohne Glyphosat wären unsere NahrungsmitÂtel viel teurÂer. So wie die LandÂwirtschaft und die LebensÂmitÂtelinÂdusÂtrie heute aufgestellt sind, stimmt das wahrscheinÂlich. Aber genau diesen indusÂtriÂalÂisierten Ansatz kriÂtisieren ja die GegÂnÂer von Glyphosat und machen auch entsprechende GegenÂvorschläge. Am Ende steÂht also MeiÂnÂung gegen MeiÂnÂung – und das war‘s.
Die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel macht Kommunikation wirksamer
„Die Epoche der reinen FakÂten und der unumÂstritÂteÂnen GewisÂsheitÂen“ hat es nie gegeben, merkt BernÂhard PörkÂsen im InterÂview mit JetÂzt an. Man müsse stets darüber streÂitÂen und diskuÂtieren, was stimmt. Mein FazÂit: Diesem Anspruch ist die Aktion BayÂer conÂtra WWF leiÂder nur wenig gerecht geworÂden. NieÂmand ist durch diesen SchlagabÂtausch klüger geworÂden und letÂztlich wurde eine wertvolle Chance für echte und nachÂhaltig wirkÂende KomÂmuÂnikaÂtion vergeben.
Ich bin der MeiÂnÂung, beiÂde SeitÂen sollÂten sich BernÂhard PörkÂsens Rat zu Herzen nehmen. Er plädiert für einen ernÂsthaften DiaÂlog, der zu einem PerÂspekÂtivenÂwechÂsel fähig ist: „Erstens muss man die andere WirkÂlichkeit zu verÂsteÂhen verÂsuchen. ZweitÂens gilt es sich zu fraÂgen: Kann ich die Motive dahinÂter nachvolÂlziehen, also VerÂständÂnis zeigen? Und der dritte Schritt ist: Bin ich einÂverÂstanden? Also mag ich die Welt, die so entsteÂht? Oder lehne ich sie ab?“
Marie-Christine Schindler meint
Ich bin der MeiÂnÂung, dass man in diesem Fall zwisÂchen dem ForÂmat und dessen AusÂgestalÂtung sowie Inhalt unterÂscheiÂden muss. Ich finde diese EntÂgegÂnung von BayÂer mutig und ich gehe davon aus, dass es sich hier um einen VerÂsuch gehanÂdelt hat. Inhaltlich lässt sich ein so komÂplexÂes TheÂma nicht in einem Beitrag abhanÂdeln. PR hat ja auch das Ziel, eine möglichst grosse Annäherung der InterÂessen, oder zuminÂdÂest das VerÂständÂnis dafür, zu erreÂichen. Das bedÂingt auch eine verÂantÂworÂtungsÂbeÂwusste AuseinanÂderÂsetÂzung mit den FakÂten und schafft die Basis für den DiaÂlog. WeitÂere VorausÂsetÂzung ist, dass alle Parteien an einÂer gemeinÂsamen Lösung interÂessiert sind. Das BayÂer Video schafft AufmerkÂsamkeit und soll wohl das WWF-PubÂlikum möglichst gut erreÂichen. Ob das gelunÂgen ist, muss BayÂer beantÂworten. Ich werte die IniÂtiaÂtive von BayÂer in Bezug auf ForÂmat und AusÂgestalÂtung als Schritt in die richtige RichÂtung. Inhalte und TonalÂität lassen sich noch verbessern.
Meike Leopold meint
HalÂlo Marie-ChrisÂtine, vieÂlen Dank für deine EinÂschätzung! Ich denke auch, dass das Ganze sozusagen PilotcharakÂter hatÂte. InsÂgeÂsamt bin ich perÂsönÂlich der MeiÂnÂung, dass sich der KonzÂern noch viel stärkÂer für mehr TransÂparenz und eine öffentliche DiskusÂsion öffÂnen könÂnte und sollte. VielleÂicht war das ja der StartÂpunkt dafür. Viele Grüße, Meike